Brilliance BS6 : Erste chinesische Limousine für Europa

Das Attraktivste ist derzeit noch der Preis

Auch wenn der Brilliance BS6 von den italienischen Stylingstudios Giugiaro und Pininfarina mitdesignt sowie von Porsche-Technikern in Weissach fahrwerksmäßig optimiert wurde und die Führung des Autoherstellers Brilliance JinBei Automobile sich bei der Auswahl der Produktions-Anlagen und Fertigungsmethoden von BMW-Experten beraten ließ - die erste chinesische Limousine, die ab Anfang 2007 in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen und den BeNeLux-Ländern angeboten wird , ist noch ein gutes Stück davon entfernt, die selbst aufgelegte Meßlatte von der Erfüllung europäischer Ansprüche in der oberen Mittelklasse überspringen zu können. Bei der jetzt in Bonn durchgeführten offiziellen Europa-Premiere zeigte sich bei ersten Fahreindrücken, dass der BS6 durchaus noch jede Menge Feinschliff vertragen kann und damit die Preise zwischen 19.000 bis 23.000 Euro das derzeit - noch - attraktivste Merkmal sind.

Äußerlich wirkt der 4,88 Meter lange Wagen trotz eines recht dominanten Grills und einer V-förmigen Frontpartie sowie einer markanten Heckpartie durchaus elegant, wobei Anklänge an die im gleichen Werk in Shenyang vom Band rollenden BMW 5-er und 3-er-Modelle durchaus zu finden sind, der BS6 aber nicht abgekupfert wirkt. Der große Innenraum mit straffem, guten Seitenhalt gebendem Gestühl - beide Vordersitze können zudem mehrfach verstellt werden - und einem übersichtlichen Armaturenbrett wirkt auf den ersten Blick angenehm. Erst später fallen die nicht immer akkurate Verarbeitung und eine für diese Klasse nicht ausreichende Materialwahl auf. Überzeugend dagegen die ergonomische Anordnung der Bedienelemente und die in den allermeisten Fällen selbsterklärende und einfache Handhabung. Nicht aufgepasst haben die Entwickler aber bei der Gestaltung des Kofferraums. Der verfügt zwar mit 550 Litern über ein beachtliches Volumen. Da er jedoch durch das zu hoch liegende Reserverad in der Höhe zu flach geraten ist, wird bei normalem Gepäck zu viel Platz verschenkt.

Für den Vortrieb sorgen zwei Vierzylinder-Benziner (2,0 Liter mit 90 kW / 122 PS und 2,4 Liter mit 95 kW / 130 PS) von Mitsubishi , die bei einem Drehmoment von 170 bzw. 195 Newtonmeter beide die Sportlichkeit nicht erfunden haben, aber solide ihren Dienst verrichten. Zumindest verhelfen sie dem BS6, den Spurt von Null auf 100 in 13,8 bzw. 12,5 Sekunden zu schaffen, die Höchstgeschwindigkeiten betragen 190 bzw. 195 km/h. Im Fahrbetrieb lassen sie jedoch Durchzugskraft vermissen, so dass bei eifrigem Schalten schnell auffällt, dass das ansonsten gut abgestufte Fünfgang-Getriebe beim nächsten Facelift etwas passgenauer ausgelegt werden sollte. Die Lenkung selbst ist etwas indirekt und der Kontakt zur Fahrbahn zu schwach. Aber schon nach den ersten etwas zügiger gefahrenen Kurven merkt man ohnehin, dass der BS6 weniger die sportive Agilität, sondern mehr das Gleiten bevorzugt. Und da es kein ESP gibt, ist schon Achtsamkeit angesagt. Aber auch bei Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn wird es im Innenraum nicht nur recht laut, sondern das Fahrzeug auch recht instabil . Eine weitere Folge des Fahrens oberhalb der Normgeschwindigkeit ist ein satter Verbrauch von zehn Liter, ein Diesel-Motor, der für Linderung sorgen könnte, folgt erst 2008.

Nachbessern heißt hier also die Devise. Und das gilt auch für die Sicherheits-Ausstattung in den beiden angebotenen Ausstattungs-Varianten Comfort und DeLuxe. ABS, Bremskraft-Verstärker und elektronische Differenzialsperre sowie lediglich Fahrer- und Beifahrer-Airbag sind schlicht zu wenig und entsprechen nicht dem europäischen Standard. In puncto Komfort haben die Chinesen dagegen mehr zu bieten. Enthält die Basisversion doch elektrische Fensterheber, Klimaanlage, Funkfernbedienung, Parkpilot und ein CD-Radio serienmäßig. Und bei der De-Luxe-Version gibt es u. a. zusätzlich eine Klimaautomatik, ein elektrisches Schiebedach, Ledersitze, Lederlenkrad und ein Radio mit CD-Wechsler. Insgesamt also ein mehr als faires Preis-Leistungs-Angebot.

Die Frage, wo man den BS6 und ab Mitte nächsten Jahres den BS4 kaufen kann, blieb allerdings auch in Bonn - vier Wochen vor Verkaufsstart - ungeklärt. Fest steht derzeit nur, dass die vom ehemaligen VW-Vertriebsvorstand Professor Hans-Ulrich Sachs geführte HSO Motors Europe als Generalimporteur für Europa noch immer Importeure für die einzelnen Länder sucht und laut Hans-Ulrich Sachs mit jeweils drei Interessenten pro Land Gespräche geführt werden. Die Verhandlungen will Sachs, der Anfang der 80er-Jahre auch an der Einführung der Marke Hyundai in Deutschland maßgeblich beteiligt war, noch in diesem Jahr abschließen. Das sollte schon auch sein, denn noch im Dezember werden die ersten 1.000 Fahrzeuge in Bremerhaven erwartet, wo sie beim Logistik-Anbieter Harms - Mitgesellschafter bei HSO - aufbereitet werden und sich anschließend keinen "Standplatten" holen sollen.

Insgesamt will HSO bereits im nächsten Jahr 15.000 Fahrzeuge in Europa verkaufen, 2.000 davon in Deutschland. Trotz der noch zahlreich vorhandenen Schwächen des BS6 aber kein unrealistisches Ziel, sofern es gelingt, leistungsfähige Importeure mit genügend Handelsbetrieben zu finden. Erheblich ehrgeiziger erscheinen die für 2010 geplanten 75.000 Einheiten. Auch unter Berücksichtigung, dass es bis dahin weitere Modelle - u. a. in der Kompaktklasse - geben soll und die Brilliance-Fahrzeuge auch im Norden und Süden Europas vermarktet werden. Denn nur in puncto Preis zu punkten, erleichtert zwar den Einstieg in den Markt, sichert aber nicht Wachstum. Den kann neben einem funktionierenden Vertriebssystem eben nur das auf die europäischen Anforderungen getrimmte Produkt bringen. Die Japaner benötigten in Europa dafür 20 Jahre, die Südkoreaner zehn. Schafft es Brilliance jetzt in fünf?

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