40 Jahre Lancia Stratos HF

Von der Stylingstudie zum Sportgerät: Der Stratos holte drei Rallye-WM-Titel en suite und mit Wurz & Bentza auch die Rallycross-EM.

"Legende": Dieser so stark strapazierte Begriff stimmt im Fall des Lancia Stratos zweifellos. Er war ein hochspezialisierter Jäger und Sammler. Bevorzugte Reviere waren für "Zivilisten" schwer zugängliche Terrains auf Schotter, Asphalt oder Schnee. Bevorzugte Beute waren Renntrophäen, am liebsten in Serie. So geschehen bei der Rallye-Weltmeisterschaft: 1974, 1975 und 1976 sicherte sich Lancia den Markentitel; eine Fahrerwertung gab es damals nicht.

Das Debüt: Turiner Autosalon 1970

Dem internationalen Publikum zeigte sich der "Faustkeil" Stratos vor vierzig Jahren, 1970, in Gestalt einer Designstudie auf dem Turiner Autosalon. Das Layout stand im Prinzip schon fest: ein V-Vierzylinder-Mittelmotor, längs vor der Hinterachse angeordnet. Die Ehre des Antriebes wurde einem Serienmotor aus dem Fulvia zuteil. Es war nicht unbedingt eine Rallye-typische Package, denn entgegen den Gesetzmäßigkeiten der Fahrdynamik orientierten Gewichtsverteilung saß der Pilot sehr weit vorne. Das radikal-futuristische Design der Studie war weder ein Modegag noch schiere Effektheischerei, sondern resultierte aus umfangreichen Windkanaltests. "Form follows function" galt auch für den Zugang ins Cockpit - nämlich nur über die aufzuklappende Windschutzscheibe. Als 1971 der Lancia Stratos HF "Stradale" aus Stahl und glasfaserverstärktem Kunststoff vorgestellt wurde, war die Evolution von der Studie zur Fahrmaschine bereits deutlich zu spüren. Der längs eingebaute Vierzylinder hatte einem quer installierten Sechszylindermotor aus dem Ferrari Dino 246 GT Platz gemacht.

Extremist auf dem Rallye-Parcours

Ein extremes Auto war der Lancia Stratos HF aber immer noch: 3,67 Meter lang, 1,70 Meter breit und mit 1,08 Metern Höhe flach wie ein Skateboard. Die Fahrerposition war etwas näher am Schwerpunkt der Fahrzeugmitte und für schnellste Reparatureingriffe im Getümmel der Rennsportschlachten ließen sich Front- und Heckpartie komplett öffnen. Die maßgeblichen Köpfe hinter dem Projekt waren der damalige Lancia-Sportchef Cesare Fiorio, der Nr.1-Werkspilot Sandro Munari und Mike Parkes. Der britische Formel-1-Rennfahrer und Ingenieur stieß 1974 als Chefentwickler und "technisches Gewissen" zu Lancia und trug entscheidend dazu bei, dass der Stratos konkurrenzfähig wurde. Daran mangelte es bei den ersten Rallyeeinsätzen 1972, trotz des Kürzels HF für "High Fidelity". Lancia benutzte diese Buchstabenkombination mit Genehmigung der HF Squadra Corse, einem Club von Lancia-Rennfahrern, und verwendete sie auch später noch für besonders sportliche Modelle.

Die zur Homologation für den internationalen Motorsport erforderliche Kleinserie entstand beim Automobil-Couturier Bertone. Mindestens 400 Einheiten forderte das Gruppe-4-Reglement der FIA, knapp 500 Lancia Stratos HF sollen es letztlich geworden sein. Präzisere und vor allem übereinstimmende Zahlen geben die verschiedenen, einander auch noch widersprechenden Quellen nicht her. Mit 2,4-Liter-V-Sechszylindermotor, Dreiventiltechnik und 190 PS erstürmte der Stratos die 100-km/h-Marke in 6,8 Sekunden und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 248 km/h. Das wären auch in der heutigen Sportwagenwelt noch konkurrenzfähige Werte. Der erforderliche Budgetrahmen ist heuer etwas weiter gefasst: Heutzutage ist der Stratos ein Sammelstück mit Marktwert ab 100.000 Euro aufwärts.

Stratos im Motorsport

Im April 1973 fuhr Sandro Munari auf der Firestone-Rallye in Spanien den ersten Erfolg für den Stratos ein. Einen Monat später folgte ein zweiter Platz bei der Targa Florio (damals noch ein Straßenrennen und Teil der Sportwagen-WM), und im September ein weiterer Sieg bei der Tour de France Auto. 1974 kamen weitere Siege in schneller Folge. Noch vor ihrer Homologation schlugen die Stratos in der Prototypenwertung bei der Sizilien-Tour und der Targa Florio zu, wenige Tage nach der FIA-Zulassung des Autos gewann Munari die Rallye San Remo. Es folgten weitere Siege beim Giro d'Italia, bei der Rideau Lakes in Kanada und der Tour de Corse, dazu ein dritter Platz bei der britischen RAC-Rallye. 1975 ging es in derselben Tonart weiter. Im Jänner holte Sandro Munari den ersten von drei aufeinanderfolgenden Siegen bei der Rallye Monte Carlo, im weiteren Jahresverlauf siegt Björn Waldegård bei der Schweden- und der San Remo Rallye. Bei der Safari Rallye in Kenia wurde Munari Zweiter vor Waldegård.

Die britische RAC-Rallye konnte der von Waldegård gesteuerte Stratos nicht gewinnen: Nach gutem Start brach eine Antriebswelle, die Mechaniker mussten zur Reparatur das Heck abbauen. Der Schwede nahm das Rennen wieder auf und markierte auf 40 der 72 Etappen Bestzeiten. Trotzdem wurde er am Ende aus der Wertung genommen: Die Rallye fand auf öffentlichen Straßen statt und sein Auto war ohne Rücklichter, Blinker und Kennzeichen unterwegs... 1976 wurde zum erfolgreichsten Jahr überhaupt für den italienischen Fauskeil, mit Platz 1 und 2 bei der Rallye Monte Carlo, den Rängen 1 bis 3 in Portugal sowie Siegen in Sizilien, beim Giro d'Italia und in Korsika. Und somit dem dritten Titel in Folge! Siege am laufenden Band sammelte der Stratos aber nicht nur im Werkseinsatz. Zu den erfolgreichsten Privatiers zählte das Team Chardonnet of France, dessen Topfahrer Bernard Darniche noch Rennen gewann, als das Werksteam längst Geschichte war. Mit 33 Siegen gilt Darniche als erfolgreichster Stratos-Fahrer aller Zeiten. Werkspilot Sandro Munari war "nur" dreizehn Mal erfolgreich.

Abseits der Rallyepfade schrieb ein Österreicher die Erfolgsgeschichte des Stratos mit: Im Jahr 1976 wurde Franz Wurz mit dem Boliden Rallycross-Europameister. Für die Saison 1977 lieferte Mike Parkes einen einzigartigen Motor mit 3 Litern Hubraum und einem Output von 320 PS. Ende 1977 übernahm Andy Bentza dieses Fahrzeug und holte sich damit nochmals den EM-Titel. Der einzige 3-Liter-Stratos ist auch heute noch in Bentzas Besitz.

1977 beschnitt der Fiat-Konzern das Motorsport-Budget von Lancia und konzentrierte sein Rallye-Engagement stattdessen auf den Fiat 131 Abarth. Nachdem im Jahr darauf der Hauptsponsor Alitalia den gleichen Wechsel vollzog, bestritt das Stratos-Werksteam nur noch Einsätze in Europa. Und 1979 hieß es endgültig "finito". Als Alternative zum Rallyesport probierte Lancia den Einstieg in die Rundstreckenszene und kreierte eine turbogeladene Gruppe-5-Version. Diese war nur begrenzt erfolgreich, was wohl auch mit dem Unfalltod von Mike Parkes im August 1977 zu tun hatte. Das Projekt Stratos und alle Sport-Aktivitäten von Lancia hatten damit ihre Leitgestalt verloren. Einer der Gruppe-5-Boliden beendete seine Karriere ausgerechnet am Österreichring in Zeltweg feurig, ein zweiter gehört heute dem weltgrößten Stratos-Sammler, dem Österreicher Christian Hrabalek. Er hält auch die Rechte am Namen und Logo. 2005 stellte Hrabaleks Londoner Designstudio Fenomenon Ltd. auf dem Genfer Autosalon eine vom Stratos inspirierte Studie vor. Investoren für dieses Projekt fanden sich bedauerlicherweise nicht.

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